Robert Schumann op.9

Carnaval. Scènes mignonnes sur quatre notes für Klavier op. 9

Préambule • Pierrot • Arlequin • Valse noble • Eusebius • Florestan • Cocuette • Réplique • Sphinxes • Papillons • A.S.C.H – S.C.H.A (Lettres dansantes) • Chiarina • Chopin • Estrella • Reconnaissance • Pantalon et Colombine • Valse allemande • Paganini • Aveu • Promenade • Pause • Marche des „Davidsbündler“ contre les Philistins

Um die Karnevalstage des Jahres 1835 vollendete Robert Schumann eine Sammlung von Klavierstücken, die alle auf den Tonbuchstaben A–Es–C–H bzw. Es–C–H–A basieren. Als Wort gelesen ergeben sie den böhmischen Heimatort Asch von Schumanns damaliger Verlobten Ernestine von Fricken und gleichzeitig die einzig in Tonhöhen darstellbaren Buchstaben seines eigenen Nachnamens. Wenn auch diese Zusammenhänge dem zeitgenössischen Spieler und Hörer verborgen blieben, zeigen sie doch Schumanns besondere Vorliebe für derartige Chiffre Kompositionen. Im Carnaval op. 9 legt er damit ein inniges Zeugnis seiner Verbundenheit zur Verlobten ab.

Anders als beispielsweise bei seinen Abegg-Variationen op. 1 entwickelte Schumann aus dem vorgegebenen Tonmaterial kein Variationenwerk im eigentlichen Sinne, sondern benutzte dieses eher als unterschwelliges Zentrum, das selten direkt hörbar wird, sondern meist nur in harmonischen Zusammenhängen anklingt. Die musikalische Maskerade ergibt sich aus den zahlreichen unterschiedlichen Kombinationen und rhythmischen Gestaltungen der Buchstabenfolge. Darüber hinaus lassen sich auch die Möglichkeiten ausreizen, die der Buchstabe ‘S’ bildet, den der Komponist musikalisch als Ton ‘es’ umsetzt, sowie ‘AS’ als Einzelton ‘as’ oder als Tonfolge ‘a – es’. Nur einmal, mitten im Zyklus, starren diese vier bedeutungsvollen Töne den Leser – wohlgemerkt nicht den Hörer (!) – der Musik als „Sphinxes“ aus großen Quadratnoten stumm an.

Als Titel für seinen Klavierzyklus plante Schumann zunächst „Fasching: Schwänke auf vier Noten für Pianoforte von Florestan“. Erst später entschied er sich für die heute bekannte französische Form. Florestan und Eusebius sind jene beiden imaginären Gestalten, die Schumann immer wieder in seinen Schriften wie in seinen musikalischen Schöpfungen bemühte. Er wies ihnen konträre Charaktere zu und symbolisierte damit sein eigenes, oft gespaltenes Seelenleben: Florestan, der trotzige, leidenschaftliche, stürmische und kämpferische auf der einen, Eusebius, der lyrische, verträumte, kontemplative und schwärmerische auf der anderen Seite. So nimmt Schumann am ausgelassenen Treiben des Maskenballs im Carnaval op. 9 nicht nur selbst in Gestalt von Florestan und Eusebius teil, sondern lässt auch andere, real existierende, und mit Fantasienamen belegte Personen aus seinem Davidsbündler - Umfeld mittanzen. Neben „Chiarina“ (Clara Wieck) und „Estrella“ (Ernestine von Fricken) erscheinen auch die für Schumanns frühe Entwicklung bedeutenden Musiker Chopin und Paganini. Darüber hinaus vervollkommnen hier erstmals die typisierten Figuren der klassischen Commedia dell’Arte den karnevalistischen Reigen. Es sind nun auch Pierrot, Arlequin, Coquette, Pantalon et Colombine, die sich hinter den Masken verbergen. Unverkleidet hingegen ziehen die Mitglieder des nur in Schumanns Fantasie existierenden Geheimbunds abschließend in einem mächtigen Marche de Davidsbündler contre les Philistins gegen jene Kunstbanausen ins Feld, die an der als verzopft und spießig empfundenen „Philistermusik“ festhielten. Als Inbegriff dieses Geistes galt der so genannte Großvatertanz, der als ironische Pointe im Verlauf des Stückes zitiert wird. Ebenso humorvoll setzt Schumann den im Titel genannten „Marche“ außer Kraft, da sich sein Satz nicht im geradtaktigen Marsch - Rhythmus bewegt, sondern in einem walzerartigen Dreivierteltakt umhertänzelt, bis schließlich zwölf kräftige As-Dur° - Akkordschläge Mitternacht und somit das Ende des Maskenballs verkünden.

(Irmgard Knechtges-Obrecht)