Brief Hebbel an Robert Schumann

Wien, d. 10. May 1853

Verehrtester Herr,

Sie haben nicht aufgehört, mir von Zeit zu Zeit die schönsten Proben Ihrer fortgesetzten Theilnahme zu geben und Ihre Güte durch die Komposition meines Nachtliedes und deren Widmung auf eine mich wahrhaft beschämende Weise gekrönt. Längst hätte ich Ihnen dafür wenigstens meinen Dank gesagt, wenn unser junger Freund Debrois mir nicht Hoffnung gemacht hätte, daß ich vielleicht einen Abdruck erhalten würde; jetzt, da er Ihnen gerade schreibt, muß ich aber durchaus mein Gewissen erleichtern. Ihre Werke, soweit sie mir zugänglich waren, sind schon seit Jahren eine Quelle hohen Genusses für mich gewesen, denn Sie erweitern den Kreis der Musik, ohne ihn zu zersprengen, und zwar, wie ich es in meiner Kunst ebenfalls versuche, auf dem Wege größerer Verstiefung in die gegebenen Elemente. Dieser Genuß steigt mir natürlich noch um ein Unendliches wenn Ihre Schöpfung, um mich so auszudrücken, eine Wiedergeburt der Meinigen ist und mich in meine eigensten früheren Zustände zurückversetzt, ja, mir dieselben erst recht eigentlich aufschließt. So ist es mir besonders mit dem Nachtliede ergangen, obgleich ich es bis jetzt nur sehr unvollständig vernahm; ich habe das Gedicht immer lieb gehabt und es bis auf den heutigen Tag lieb behalten, bin aber erst durch Ihre Musik, die mich in die Heidelberger Dämmernacht, in der es entstand, ganz zurückführte, zu der Erkenntniß gekommen, daß der Dichter so ahnungsreichen Natur- und Seelenmomenten doch nur die äußersten Umrisse abgewinnt und daß das Leben durch die verwandte Kunst hinzugethan werden muß. Empfangen Sie meinen wärmsten Dank für die Auferstehungsfeier einer vergangenen Zeit, die mir durch Sie zu Theil wurde, und lassen Sie sich denselben durch die Zusendung meines Michel Angelo ausdrücken, den wohl (leider!) Niemand besser verstehen wird als Sie. Er hat mir gute Dienste gethan und mich nicht blos momentan, sondern für immer der widerwärtigen Misere, mit der wir in unserem eigenen Kreise kämpfen müssen, entrückt; möge er Ihnen gelegenlich auch einmal als Hausmittel zu Statten kommen! Darf ich bitten, mich Ihrer Frau Gemahlin zu empfehlen?

Sie haben mir, verehrtester Herr, durch den jungen Debrois so werthvolle Gaben zukommen lassen, daß es längst meine Pflicht gewesen wäre, Ihnen zu danken. Aber Sie zweifeln gewiß nicht, daß es im Herzen redlich geschehen ist und als ein äußeres Zeichen bitte ich Sie jetzt, ein Exemplar meines Agnes Bernauer entgegen zu nehmen, welches hierbei unter Kreuzband erfolgt. Dies Stück ist mir unter den meinigen fast das liebste; nicht als politische Demonstration, wie es leider in gründlichster Mißkennung der dem Dichter durch die Geschichte aufgelegten Gesetze von den Partheien des Tags aufgefaßt wird; sondern als eine, wie ich wenigstens hoffe und glaube, eigenthümliche Darstellung des Tragischen, das sich an die bloße Erscheinung des Menschen knüpfen kann.

Debrois hat eine Ouvertüre dazu geschrieben, und das bringt mich auf den jungen Mann zurück. Sie glauben nicht, wie er an der Kunst und an Ihnen, dem Meister, denn Beides ist für die Jugend identisch, hängt. Auch möchte ich einen berechtigten Zug seiner Natur darin erblicken, da er wahrhaft begabt zu seyn scheint und sich also nicht in einen Kreis hinein drängt, der ihm absolut verschlossen ist. Nur zählt er bereits 25 Jahre und Beethoven in seinen Studien meint sogar von Weber, daß er zu spät angefangen habe, um ganz über den Dilettantismus hinaus zu kommen. Entschieden geht er damit um, sich der Musik ausschließlich zu widmen, ist aber ohne Vermögen, wenn gleich, so lange sein Vater lebt, versorgt. Ich bin nun zwar der Meinung, daß der Mensch, der das Beste, was in ihm liegt, in sich ausbilden und aus sich entwickeln darf, sey es auch im Kampf mit Noth und Sorge, immer noch glücklicher seyn kann, als derjenige, der es ersticken muß und dafür einen wohlbesetzten Tisch zur Entschädigung erhält. Aber bedenklich bleibt ein solcher Kampf doch immer, und vor Allem deßhalb, weil Niemand weiß, ob die inneren Quellen ewig fließen werden. Debrois gab neulich ein kleines Privat-Concert, das recht gut ausfiel und wodurch er, wie es scheint, seinen Vater, der seinen Lebensplan bisher widerstrebte, halb und halb zu sich herübergezogen hat. Ihr Wort über seine neuen Sachen, dem er mit ängstlicher Spannung entgegen sieht, wird nun als letztes und schwerstes Gewicht in die Waagschale fallen. Jedenfalls wird er nicht streng genug zum Arbeiten angehalten werden können, wenn ich ihn richtig beurtheile, denn alles Produciren außerhalb der Formen ist doch im Grunde eine Schwelgerei und führt zur Verwechselung des allgemeinen Elements mit dem individuellen Eigenthum.

Ihr „Schön Hedwig“ ist außerordentlich schön, weit schöner als das meinige, das, wie ich jetzt sehe, dem Käthchen von Heilbronn seinen besten Putz abgeborgt hat. Vieles hätte ich Ihnen in Bezug auf Poesie und Musik mitzutheilen, gehörte nur nicht leider eine Reihe von Gesprächen oder eine ganze Abhandlung dazu. Ohne Richard Wagners Buch im Ganzen oder im Einzelnen irgend acceptiren zu können, schwebt doch auch mir, und zwar von meinem ersten Auftreten an, die Möglichkeit einer Verschmelzung von Oper und Drama in ganz speciellen Fällen vor, und meinen Moloch, an dem ich seit zehn Jahren arbeite, habe ich mir immer in Bezug auf die Musik gedacht. Aber freilich läßt sich das Wie nicht in Kürze auseinander setzen. Nun vielleicht begegnen wir uns noch einmal im Leben und können Versäumtes nachholen.

Empfangen Sie noch einmal meinen besten Dank und empfehlen Sie mich Ihrer Frau Gemahlin zu geneigtem Andenken!
Wien, den 21. Juny 53